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Telemann, Dokumente, Texte, Materialien

Georg Philipp Telemann, Autobiographie 1740

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Telemann
(ex autogr.)

Georg Philipp Telemann+) redet hier selber, und erzehlet uns, mit eigner geschickten Feder, die wunderwürdigen Zufälle seines Lebens, besonders in dem, was die musikalischen betrifft, mit folgenden auserlesenen Worten, und in der angenehmsten Schreibart.
Ich bin, sagte er, in Magdeburg 1681.*) den 14. Märtz gebohren,
und den 17ten drauf Evangelisch-Lutherisch getaufft worden. Mein Vater,

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+) Wenn man diesen harmonischen Megalander und J. H. Buttstett in einer solchen Klasse zusammen antrifft, darin die vor andern berühmten Tonmeister des itzigen Jahrhunderts eigentlich gepriesen werden sollen, wie wir leider das Beispiel im XXII. Bande p 1404 des Universal Lexici erlebet haben: so kan man sich nicht genug wundern über den Abgang gesunder Urtheilskrafft, mittelst welcher diese beide Rahmen zwar gewisser maassen in einem Buche; aber bey weitem nicht in einerley Rang und Würde stehen können. Mir ist nicht unbewusst, daß es aus dem so genannten Kurtzgefaßten musikal. Lexico wörtlich als abgeschrieben worden; allein dseto schlimmer ist es Doch, was soll man sagen ? Die ungeheuren Lexicographi können ja unmöglich alles wissen; wenn sie nur nicht andre alles lehren wollen! wiewohl, sie freuen sich des Vortheils, daß keine Seele ihre 40. Oder 50 Folianten von Ort zu Ende durchliefet, und also niemand den tausenden Theil ihrer Fehler erfährtet. Wer sonst nur ein wenig darin blättert, darf nach Überfluß und Mangel nicht lange suchen. Z. E. im XIX. Bande p. 2047 werden Harmonie und Musik für einerley Ding, am Schwantze der Mathematik, angegeben: da mangelts am Unterschiede. Aber der artige überflüßige Präsident zu Mortier, im Artikel Mirannon, Tomo XXI. p. 421 siehet dem Herrn Articulo Schmalkaldico etwas ähnlich: denn wenn ein Ort zum Mann, und eine Mütze zum Ort gemacht wird, läufft es fast auf eins hinaus. Etc. etc. etc

*) Es hatte der Hr. Verfasser, in seinem eigenhändigen Aufsätze von 1718. aus Frankfurt, sein Geburths-Jahr ins 1682ste gestellet, und so ist es auch in der grossen General-Baß-Schule gedruckt worden: itzo aber hat er dieses Versehengeändert. (Die wenigen Anmerkungen sind von Mattheson, so wie das übrige, was noch mit commatibus hier bezeichnet ist.)

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Henricus, war Prediger daselbst an der Kirche zum H. Geist, und starb 1685. den 17. Jenner, als er kaum 39. Jahr erlebet; ich aber noch nicht das vierte erreichet hatte. Meine Mutter, Maria, stammte gleichfalls von einem Pastore aus Altendorff, Johann Haltmeyer, her, und verblich 1710.
In den kleinern Schulen lernte ich das gewöhnliche, nemlich Lesen, Schreiben, den Catechismum und etwas Latein; ergriff aber auch zuletzt die Violine, Flöte und Cither, womit ich die Nachbarn belustigte, ohne zu wissen, ob Noten in der Welt wären. Die grosse altstädter-Schule, so ich im zehnten Jahre betrat, verschaffte mir die höhere Unterweisung, vom Cantore, Hrn. Benedicto Christiani, biß in die oberste Klasse des Hrn. Rectoris, Anton Werner Cuno, endlich auch diejenige des Hrn. N. Müllers, Rectorius am Dom, welcher mir die erste Liebe zur deutschen Dichtkunst einpflanzete. Gesamte Lehrer aber waren mit meinem Fleiße, oder vielmehr mit meiner Fähigkeit bald zu fassen, sehr zu frieden, und gaben mir das Zeugniß, daß ich im Lateinischen, besonders aber im Griechischen, einen guten Grund geleget hatte. Allein, was vergisst man nicht ohne Uebung.

In der Musik bin ich, binnen wenig Wochen so viel begriffen, daß der Cantor mich, an seiner Statt, die Singestunden halten ließ, ob gleich meine Untergebne weit über mir hervorrageten. Während dieser Zeit componirte er; so bald er aber den Rücken wandte, besahe ich seine Partituren, und fand immer etwas darin, so mich ergetzte; warum aber? das war mir verborgen. Gnug, ich wurde dadurch veranlasset, allerhand Musik zusammen zu raffen, die ich in Partituren schrieb, und emsig in selbigen laß, mithin immer mehr Licht bekam: biß ich endlich, mit Ehren zu melden, selbst anfing zu componiren; aber doch in aller Stille.

Inzwischen wußte ich, mit Unterschreibung eines erdichteten Nahmens, mein Machwerck in des Cantoris und Präfecti Hände zu spielen, da ich es denn theils in der Kirche, theils auf der Gasse, und auch zugleich den neuen Verfasser aufs beste loben hörte. Dies machte mich so kühn, daß ich eine ertappte hamburger Oper, Sigismundus, etwa im zwölfften Jahr meines Alters, in die Musik setzte, welche auch auf einer errichteten Bühne toll genug abgesungen wurde, und wobey ich selbst meinen Held ziemlich trotzig vorstellte. Ich mögte diese Musik wohl itzt sehen, wenn mir der Kopf nicht recht stehet.

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Bevor ich zu solchem Vermögen gelanget war, ließ ich mich auf dem Clavier unterrichten; gerieth aber zum Unglück an einen Organisten, der mich mit der deutschen Tabulatur erschreckte, die er eben so steiff spielte, wie vieleicht sein Grosvater gethan, von dem er sie geerbet hatte. In meinem Kopfe spuckten schon muntrere Töngens, als ich hier hörte. Also schied ich, nach einer vierzehntägigen Marter, von ihm; und nach der Zeit habe ich, durch Unterweisung, in der Musik nichts mehr gelernet.

Ach! aber, welch ein Ungewitter zog ich mir durch besagte Oper über den Hals! die Musik-Feinde kamen mit Schaaren zu meiner Mutter, und stellten ihr vor: Ich würde ein Gauckler, Seiltänzer, Spielmann, Murmelthierführer etc. werden, wenn mir die Musik nicht entzogen würde. Gesagt, gethan! mir wurden Noten, Instrumente, und mit ihnen das halbe Leben genommen. Damit ich aber desto mehr davon abgezogen würde, so ward beschlossen, mich nach Zellerfeld auf dem Hartze in die Schule zu schicken: weil meine Notentyrannen vieleicht glaubten, hinterm Blockberge duldeten die Hexen keine Musik.

Ich ging, etwa 13. Jahr alt, mit meinem Empfehlungs-Briefe an den Superintendenten, Hn. Caspar Calvör, begleitet, der mich zum Studiren sorgfältig anhalten sollte, welches auch geschahe, und ich nahm in selbigem, besonders in der Feldmesserey, mercklich zu; aber auch diese hat das Schicksal des vorhin gedachten Griechischen gehabt.

Nach einigem Zeitverlaufe sollte ein Bergfest gefeiret werden, und der Cantor zu einer ihm gegebenen Poesie die Musik verfertigen: allein er lag am Podagra. Immittelst hatte ich einem meiner Schulgesellen vertrauet, daß ich Tone zusammen zu setzen wüste. Dieser eröffnete es jenem; ich wurde gerufen, und übernahm, auf dessen Ansuchen, solche Verrichtung. Der Tag der Aufführung nahete heran; mein Cantor aber mußte annoch das Bette hüten: also kam das Tactgeben an mich, als an eine Figur von 4. Fuß und etlichen Zollen, welcher man ein Bänckgen untersetzte, damit sie gesehen werden könnte. Die Musik war gut besetzt, und klang. Die treuhertzigen Bergleute, mehr durch meine Gestalt, als durch die Harmonie gerührt, wollten mir nach geendigtem Gottesdienste, ihre Liebe bezeugen, und brachten mich hauffenweise nach meiner Wohnung; einer aber von ihnen trug mich auf dem Arme dahin, wobey ich mich mit ihrem gewöhnlichen Lobspruche: Du kleiner artiger Boß! zum öfftern beehren hörte.

Mein lateinischer Hüter, der brave Hr. Calvör, ließ mich zu sich fordern, eröffnete sein Vergnügen über meine Musik, und ermahnete mich,

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ferner darin fortzufahren; zeigte mir auch die Verwandtschafft der Meskunst mit der Musik: wie denn seine Schrifften hernach gewiesen haben, daß er in beiden ein gantzer Meister gewesen sey. Dies schien das meiner Mutter gegebene Versprechen aufzuheben, und verleitete mich zu einem unschuldigen Ungehorsam: also, daß ich das Clavier wieder hervorsuchte, und im Generalbasse zu grübeln anfing, wovon ich mir eigne Regeln niederschrieb. Denn ich wuste noch nicht, daß Bücher davon wären, und den Organisten wollte ich auch nicht fragen, weil der magdeburgische, fürchterlichen Andenckens, mir noch unvergessen war. Daneben wurden Violine und Flöte auch nicht hintangesetzt; zur Kirche aber verfertigte ich fast alle Sonntage ein Stück: fürs Chor Moteten; und für den Stadt-Musikanten allerhand Bratensymphonien.

Nach einem vierjährigen Auffenhalt allhier begehrte des hildesheimischen damahls-berühmten Gymnasii Director, Hr. Mag. Loßius, mich dahin, welches mir auch von Magdeburg aus bewilliget ward, wohin mein mehrgedachter Gönner mogte geschrieben haben. Der Hr. Loßius pflegte jährlich ein oder zwey Schauspiele poetisch zu verfassen und aufzuführen, also, daß die Rezitative geredet, die Arien aber gesungen wurden; und zu diesen muste ich die Musik setzen, die vieleicht bloß darum gefiel, weil ich immer nur noch ein Stück vom menschlichen Cörper war.

Die Schulstunden verabsäumte ich nicht, es müßte denn die Logic seyn, mit deren Barbara, Celarent, ich mich nicht vertragen konnte. Gnug, ich stieg, unter einer Anzahl von 150. Schülern, die die erste Classe ausmachten, biß zum dritten Platz von oben. Die Sätze vonSteffani und Rosenmüller, von Corelli und Caldara*) erwählte ich mir hier zu Mustern, um meine künfftige Kirchen- und Instrumental-Music darnach einzurichten, in welchen beiden Gattungen denn kein Tag ohne Linie vorbey ging. Die zwo benachbarten Capellen, zu Hanover und Braunschweig, die ich bey besondern Festen, bey allen Messen, und sonst mehrmals besuchte, gaben mir Gelegenheit, dort die frantzösische Schreibart, und hier die theatralische; bey beiden aber überhaupt die italiänische näher zu kennen, und unterscheiden zu lernen. Auch brachten mir, die hie und dort befindliche, treffliche Instrumentalspieler die Begierde bey, auf den meinigen stärcker zu werden; worin ich aber weiter gegangen wäre, wenn nicht ein zu hefftiges Feuer mich angetrieben hätte, ausser Clavier, Violine und Flöte mich annoch mit dem Hoboe, der Traverse, dem Schalümo, der Gambe etc. biß auf den Contrebaß und die Quint-Posaune, bekannt zu machen.
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*) Da kommen die Italiäner schon in Betracht; die Frantzosen hernach.

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Der damalige jesuitische Musicdirector in der römischcatholischen Kirche, Pater Crispus, dem ich öffters, bey seinen Aufführungen, zum Scherwentzel im Singen und Spielen gedienet, hatte mich lieb gewonnen, und trat, nachdem er durch brünstige Überredungen an meine Wiederkehr zum Schoosse seiner Kirche vergebens gearbeitet, mir dennoch, aus danckbarem Gemüthe, das godehardiner Kloster, eines von den wichtigsten daselbst, ab, wo ich alles mit Evangelischen bestellete, deutsche Zwischencantaten einführte, die nicht selten Religionsstreitigkeiten enthielten, und alles das vermied, was der unsrigen anstößig sein konnte: wie ich denn auch zu dieser Verwaltung die Einwilligung des sonst eifrigen Superintendenten, Hrn. D. Johann Riemers +), erhielt. Endlich ward ich der Manteljahre satt, und sehnte mich nach einer hohen Schule, wozu ich Leipzig erkiesete. Ich reisete nach meiner Vaterstadt, um hiezu das benöthigte in Ordnung zu bringen. Ein veranstaltetes Examen brachte den Ausspruch zu Wege, daß ich ein Jurist werden, und der Musik gäntzlich absagen sollte. Jenes war ohne dies meine Absicht; und zu diesem bequemte ich mich ohne allen Wiederspruch, mit dem festen Vorsatze, auf einen geheimen Rath loß zu studiren: hinterließ auch meine gantze musikalische Haushaltung, und begab mich 1701. nach Leipzig, da ich unterwegens in Halle, durch die Bekanntschafft mit dem damals schon wichtigen Hrn. Georg Fried. Händel *) , beynahe wieder Notengifft eingesogen hätte. Allein ich hielt fest, und nahm meine vorige Gedancken wieder mit auf den Weg. Ich langte an, und kam am schwarzen Brete mit einem ansehnlichen Studioso überein, dessen Stubenpursch zu werden. Mein Reisegeräthe ward geholet; aber wie klopffte mir das Hertz, als ich Wände und Winckel der Stube mit musikalischen Instrumenten versehen fand! Mir wurde alle Abend was vormusiciret, welches ich bewunderte; ob ich es gleich selbst weit besser konnte. Ich fing indes meine Collegia an, und hörte bey dreien Professorn und Doctorn, als beym ältern Hrn. Otto Menken, und bey Hrn. Andreas Mylius**), Juridica; bey Hrn. N. Weidling die Rednerkunst, und bey Hrn. Magister N. Calvisius die Philosophie. Mittlerweile kömt mein Stubenpursch einst über meinen Coffre, und

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+) Der als Pastor an der hamburgischen Jacobs-Kirche 1714. gestorben ist, und in seinem Lebenslaufe verordnet hat, man solle weder läuten noch singen bey seinem Begräbnisse, denn er könnte das Geräusche nicht vertragen. Doch hat man von ihm unter andern ein Büchlein, das klingende Zion betitelt.
*) Dieser war damals kaum 16. Jahre alt.
**) Er starb 1702. Den 6. Jan.

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findet den von mir componirten sechsten Psalm, der, ich weiß nicht wie, unter mein Leinenzeug gerathen war. Ich verständigte ihn meines Vorhabens, welches er billigte; bat sich aber den Psalm aus, um ihn am nähesten Sonntage in St. Thomaskirche musiciren zu lassen. Der damalige Bürgermeister und geheime Rath, Hr. D. Romanus, findet Geschmack daran, und beredet mich, alle 14. Tage ein Stück für besagte Kirche zu setzen; wogegen ich mit einem erklecklichen Legat versehen wurde, ohne die Hoffnung, so man mir zu grössern Vortheilen machte: doch ging dessen fernerer Rath dahin, daß ich die andern Studien nicht niederlegen sollte.

Itzo fiel mir meine Mutter, deren Befehle ich ehrete, wieder ein, eben als ich von ihr einen neuen Geldwechsel empfing. Ich schickte solchen wieder zurück, meldete meine übrigen Umstände, und bat um Aenderung ihres Willens, in Ansehung der Musik. Ihr Seegen zu meiner neuen Arbeit erfolgte: und nun war ich auf der einen Achsel wieder ein Musikus.

Bald darauf gewann ich die Direction über die Opern, deren ich insgesamt, auch noch von Sorau und Franckfurt aus, etliche und zwantzig, und zu vielen davon ebenfalls die Verse, gemacht habe. Für den weißenfelsischen Hof verfertigte ich etwa vier Opern, und richtete endlich in Leipzig das noch stehende Musikcollegium an.

Die Orgel in der neuen Kirche wurde fertig, und ich darüber, als Organist, wie auch zum Musikdirector bestallet. Jene habe nur bey der Einweihung berühret; hernach aber solche verschiedenen Studiosis unter die Hände gegeben, die sich darum zanckten. Die Feder des vortrefflichen Hn. Johann Kuhnau diente mir hier zur Nachfolge in Fugen und Contrapuncten; in melodischen Sätzen aber, und deren Untersuchung, hatten Händel und ich, bey öfftern Besuchen auf beiden Seiten, wie auch schrifftlich, eine stete Beschäfftigung.

Von Leipzig aus habe Berlin zweimahl gesehen; die Oper Polyphemo, von Giov. Bononcini, und eine andre (jedoch von meinen Freunden versteckt, weil nur wenigen der Eingang erlaubet war) angehöret, worin meistens hohe Personen, unter andern eine, hernach nach Cassel verheirathete Marckgräfinn, sangen, die Königinn Sophia Charlotte aber selbst auf dem Clavier accompagnirten, und das Orchester grossen Theils mit Capell- und ConcertMeistern besetzet war, als nehmlich: Padre Attilio Ariosti; die Gebrüder Antonio und Giovanni Bonocini; der Obercapellmeister Rieck; Ruggiero Fedeli; Volumier*) ; Conti; La Riche; Forstmeier etc.
Im 1704ten Jahre wurde ich nach Sorau, zu S. Excellenz, dem 

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*) par corruptio: Woulmyer

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Hrn. Grafen, Erdmann von Promnitz, als Capellmeister berufen. Das gläntzende Wesen dieses auf fürstlichem Fuß neu-eingerichtete Hofes munterte mich zu feurigen Unternehmungen auf, besonders in Instrumentalsachen, worunter ich die Ouvertüren mit ihren Nebenstücken vorzüglich erwehlete, weil der Herr Graf kurtz vorher aus Franckreich wiedergekommen war, und also dieselben liebte. Ich wurde des Lulli, Campra*) und andrer guten Meister Arbeit habhafft, und legte mich fast gantz auf derselben Schreibart, so daß ich der Ouvertüren in zwey Jahren bey 200. zusammen brachte.

Als der Hof sich ein halbes Jahr lang nach+) Plesse einer oberschlesischen, promnitzischen Standesherrschafft, begab, lernete ich so wohl daselbst als in Krakau, die polnische und hanakische Musik, in ihrer wahren barbarischen Schönheit kennen. Sie bestund, in gemeinen Wirtshäusern, aus einer um den Leib geschnalleten Geige, die eine Terzie höher gestimmet war, als sonst gewöhnlich, und also ein halbes Dutzend andre überschreien konnte; aus einem polnischen Bocke; aus einer Quintposaune, und aus einem Regal. An ansehnlichen Oertern aber blieb das Regal weg; die beiden erstern hingegen wurden verstärckt: wie ich denn einst 36. Böcke und 8. Geigen beisammen gefunden habe. Man sollte kaum glauben, was dergleichen Bockpfeiffer oder Geiger für wunderbare Einfälle haben, wenn sie, so offt die Tantzenden ruhen, fantasiren. Ein Aufmerckender könnte von ihnen, in 8. Tagen, Gedancken für ein gantzes Leben erschnappen. Gnug, in dieser Musik steckt überaus viel gutes; wenn behörig damit umgegangen wird. Ich habe, nach der Zeit, verschiedene grosse Concerte und Trii in dieser Art geschrieben, die ich in einen italiänischen Rock, mit abgewechselten Adagi und Allegri, eingekleidet.

Etwas merckwürdiges ist hier nicht zu vergessen. Der Hof wurde zu zweienmahlen grossen Theils abgedanckt, und selbst Günstlinge wurden mit fortgerissen; ich aber blieb. Sonst hat die Musik insgemein den Vortantz.

Endlich hatte ich in Sorau noch das Vergnügen, mit dem berühmten Herrn Wolfgang Caspar Printz**), Cantore daselbst, umzugehen, wobey

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*) Campra hat am ersten besäitete Instrumente in die parisische Dom-Kirche eingeführt, und ist in geistlichen Sachen am fruchtbarsten gewesen, ehe er sich der Oper widmete. Campra fut le premier qui eut le credit de faire entrer les instrumens a` cordes dans l´Eglise de notre Dame de Paris. --- Campra le plus fecond de tous, & celui que je placerai le premier en l´etat ou` ils font, quand on m´ordonnera de les arranger, --- Si ce mal- heureux garcon n`avoit point deferte l`Eglise pour aller fervir l`Opera &c. Histoire de la Mus. Tome IV p. 154 & 176 S. p. 166 dieser Ehrenpforte
+) S. Den Artikel Printz p. 269, 270.
**) Printz war damahls schon 26 Jahre Capell-Director gewesen, welches Amt ihm 1682. aufgetragen worden, und 1662.bereits gräfl promntitzscher Musik-Direktor und Hofcomponist: Das war zu der zeit weniger, als Capellmeister.

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er einen Heraclitum, und ich einen Democritum vorstellete. Denn er beweinte bitterlich die Ausschweiffungen der itzigen melodischen Setzer: wie ich die unmelodischen Künsteleien der Alten belachte. Da er aber noch immer hoffete, ich würde aus dem Babel der ersten heraus gehen, also sollte ich, vor meinem Abzuge nach Eisenach, welcher 1708. geschahe, von einem seltenen Geheimnisse unterrichtet werden, um es dem Hertzoge von Gotha, gegen Erlegung einer gewissen Summa, die wir theilen wollten, wiederum beizubringen. Es bestund darin; durch Hülffe der Musik alle Handlungen eines versandten Ministers, eines Generals im Felde etc. nicht allein zu wissen; sondern auch durch eben dieses Mittel, ihnen Befehle zu erteilen. Da ich aber den Vortrag kaum mit halber Ernsthafftigkeit aushören konnte, so ward ich solcher Schwartzkünsteley beraubet.+)

Bisher war mirs ergangen, wie den Köchen, die eine Reihe Töpffe am Feuer stehen haben, aus deren etlichen sie nur etwas zu kosten geben. Nunmehr aber sollte ich völlig anrichten, das ist, mit allen meinen Instrumenten, mit Singen und mit der Feder zeigen, was ich gelernet hatte. Die Absicht war in Eisenach anfangs nur auf eine Instrumental-Musik gerichtet, deren Glieder der nie genug zu rühmende Hr. Pantaleon Hebenstreit zusammen suchte, und welchen ich, als Concertmeister, vorgesetzet ward: mithin bey der Tafel und in der Kammer die Violine, und das übrige, zu spielen hatte; da jener den Nahmen eines Directoris führte, in der letzten aber auch mitgeigete, und auf seinem bewundernswürdigen Cymbal sich hören ließ. Es erwuchs aber bald eine Capelle, nachdem der Durchlauchtige Hertzog an einigen Kirchencantaten, die ich allein absang, Gefallen getragen: da ich denn befehliget wurde, benöthigte Sänger zu verschreiben, die aber auch als Violinisten gebraucht werden könnten; nach deren Ankunfft ich denn zum Capellmeister ernannt wurde, jedoch auch zugleich die vorigen Dienste that. Ich muß dieser Capelle, die am meisten nach frantzösischer Art eingerichtet war, zum Ruhm nachsagen, daß sie das parisische, so sehr berühmte Opern-Orchester, welches ich nur erst vor kurtzem gehöret, übertroffen habe.

Hiebey entsinne ich mich der Stärcke besagten Hrn. Hebenstreitsauf der Violine, die inh gewiß des ersten Ranges unter allen andern Meistern würdig machte: daß, wenn wir ein Concert mit einander zu spielen hatten, ich


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+) Es ist vermuthlich ein Stück aus der Mythographie gewesen, die ihren Nutzen sehr wohl haben kann., und ohne Hexerey zugeht.

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mich etliche Tage vorher, mit der Geige in der Hand, mit ausgestreifftem 
Hemde am lincken Arm, und mit stärckenden Beschmierungen der Nerven einsperrte, und bey mir selbst in die Lehre ging, damit ich gegen seine Gewalt mich in etwas empören könnte. Und siehe da! es halff zu meiner mercklichen Besserung. Gleichwie ich ausser etlichen wenigen, doch überaus schönen Beiträgen, so jener aufsetzte, zu allen Aufführungen alles verfertigte, so stehet leicht zu erachten, was ich zusammen geschrieben haben müsse. Es wurden vier Jahrgänge in so vielen Jahren fertig, nebst zween andern, zum nachmittäglichen Gottesdienste, worin aber etliche Lücken blieben: die Missen, Communionsstücke und Psalmen ungezehlet. Hiezu kamen die Serenaten zu Geburths und Nahmens-Tagen, wozu ich die Verse entwarff, deren etwa 20, nebst 50. andern Cantaten, welsch und deutsch wurden.

Und wie wäre es möglich, mich alles dessen zu erinnern, was ich zum 
Geigen und Blasen erfunden? Aufs Triomachen legte ich mich hier insonderheit, und richtete es so ein, daß die zwote Partie die erste zu seyn schien, und der Baß in natürlicher Melodie, und in einer zu jenen nahe tretenden Harmonie, deren jeder Ton also, und nicht anders seyn konnte, einhergieng. Man wollte mir auch schmeicheln, daß ich hierin meine beste Krafft gezeiget hätte.

Von Sorau aus wohnte ich in Berlin, 1705. dem Leichenbegängnisse der Königin von Preussen, und darauf 1708. den Beilagern Sr. Kön. Maj. glorw. Andenckens, und des jüngst-verstorbenen Königs, als Printzens, folglich so wohl der Trauermusik vom Hrn. Ruggiero Fedeli, als den beiden Opern, Sieg der Schönheit und Roxane, mit bey; deren erste theils der damahls Pfaltzgräfl. Kammermusicus in Breßlau, jedoch hernach Churpfältzischer Kammerrath, Hr. Gottfried Finger*) , theils der Königl. Kammermusikus und endlich Churpfältz. Capellmeister, Hr.Augustin Reinhard Stricker, und die Täntze Mr. Valümier; die letzte Oper aber, biß auf die Täntze, wie vorhin, jener (Hr. Finger) allein verfertigte.

Anno 1709. verheirathete**) ich mich zum erstenmahl mit JungferAmalien Louisen Julianen: zwoten Tochter Hrn. Daniel Eberlins, ehmah-
ligen Capitains unter den päbstlichen Völckern in Morea, so gegen die Türcken gefochten; hernach Bibliothecarii in Nürnberg; darauf Capellmeister in Cassel; ferner Pagenhofmeisters, Capellmeisters, geheimen Secretars, Müntzwardeins und Regentens auf dem Westerwalde, in eisenachischen Diensten; her-

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*) Er war 1717 fürstl. anhaltinischer Capellmeister in Cöthen. 
**) Es ist doch recht sonderlich, daß Telemann und Mattheson in einem Jahre geboren, und auch in einem Jahre vereheliget worden sint. J` en augure du bien.

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nach Bankirers in Hamburg und Altenau; endlich Capitains von der Landmilitz in Cassel. Gewiß, abentheuerliche Glücks-Veränderungen; aber auch Zeugnisse eines Kopffes, dergleichen die Natur wenige an Geschicklichkeit hervorgebracht hat. Er war, die Musik betreffend, ein gelehrter Contrapunctist, starcker Geiger, wovon seine in Nürnberg gestochene Trii+) zeugen, und rechnete aus, daß die Violine 2000.mahl verstimmet werden könne.

Kurtz vor meiner Heirath 1709. wurde mir unvermuthet eine fürstliche Bestallung eingeliefert, worin ich den Titel als Secretar, und einen Platz an der Marschallstafel erhielt, welchen letztern ich auch in Sorau gehabt hatte. Die Ursache mogte seyn, weil der Capellmeister in der Rangfolge noch nicht mitbegriffen war: sintemahl man vorher daselbst noch keine förmliche Capelle gehabte hatte. Ich wurde aber in sothaner Classe bald der älteste, weil etliche daraus starben, und andre sonst Beförderung bekamen: mithin gerieth ich den Räthen an die Seite.

Ich weiß nicht, was mich bewog, einen so auserlesenen Hof, als der eisenachische war, zu verlassen; das aber weiß ich, damahls gehört zu haben: Wer Zeit Lebens fest sitzen wolle, müsse sich in einer Republick niederlassen. Also folgte ich 1712. dem nach Franckfurt am Mayn, als Capellmeister an der Baarfüsserkirche, erhaltenen Berufe, ohne daß ich einen Menschen daselbst kannte. Jedoch die angenehme Freiheit im Leben ersetzte hier den Verlust, den ich dort an einem gnädigen Herrn und an braven Virtuosen erlitten hatte. Ob zwar meine jährliche Versorgung nicht geringe war, so trat ich doch überdies annoch bey der hochadelichen Gesellschafft, Frauenstein, in Dienste, wo ich über den derselben zugehörigen Pallast, welchen die Römischen Kaiser bey Dero Wahl und Krönung einzunehmen pflegen, die Aufsicht, und zugleich meine Wohnung in solchem bekam. Weil aber auch die Glieder bemeldter Gesellschafft Administratores des ansehnlichen bayerischen, und zu Besten der Armen gestiffteten, Testaments sind, so machten Sie mich auch zum Zinsheber der dabey einlauffenden Interessen. Hiernächst wurde mir annoch vom Musikdirector der zwoten lutherischen Hauptkirche zu S. Catharinen dessen Stelle übergeben. Weiter wurd ich aufs neue von Eisenach, als Capellmeister von Haus aus, bestallet, und lieferte die zur Kirchen und Kammer benöthigten Materialien dahin.

Als ich ohngefehr, 1716. durch Gotha reisete, und der geschickte Capellmeister, Christian Friedrich Witt, gestorben war, sollte mir dessen Platz wieder werden. Ich dachte daran, wie warm ich in Franckfurth bey 1600 fl.

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+) Sie sind Ao. 1675 in Nürnberg in Folio herausgekommen. G. Walthers Lexicon

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saß, und reisete weiter. Ich kam zurück. Gute Freunde hielten mich fürs erste einen Posttag auf. Die liebreicheste Art, womit diese Sache gehandelt wurde, únd insonderheit die Eigenschafft eines unvergleichlichen Fürstens (der nicht viel weniger Noten wußte, als ich selbst) machten, daß ich den Maynstrom vergaß, und hier eine Bestallung annahm zu 500 Rthlr. 2. Malter Weitzen, 12. Malter Korn, 12. Malter Gersten, und 12. Klaffter Holtz; der übrigen Zugänge von den zahlreichen Geburths- und andern Festen, desgleichen von den Capellknaben, wovon insgesamt alles vermehret werden sollte, zu geschweigen; und wobey Serenißimus sich vorbehielt, meine musikalischen Cabinetdienste grosmüthig zu belohnen.

Ausser diesen Vortheilen ward bewilliget, daß ich zugleich in eisenachischen Diensten, gegen jährliche 200 Rthlr. verbleiben, und zu bedungenen Zeiten daselbst in Person erscheinen sollte. Ferner war der Durchl. Hertzog, Ernst August, in Weimar entschlossen, mir nicht allein ein gleiches Tractament, wie das itztgedachte, beizulegen; sondern auch, durch hohe Vorschrifft, die übrigen sächsischen Herren, ernestinischer Linie, wenigstens durch Übersendung gewisser Musikalien, mir nutzbar zu machen, und den Titel eines allgemeinen Capellmeisters besagter Linie zu verschaffen. Indes wuste eine winselnde Ehegattin, nebst der Beredsamkeit meiner Verwandten und Bekannten mich durch Scheingründe auf andre Gedancken zu bringen, und gab daher manchem Anlaß zu glauben, daß ich itzt die Hauptthorheit bezahlet hätte, die ein jeder der Welt schuldig ist: indem ich wieder nach Franckfurth ging.

Meine musikalischen Verrichtungen daselbst waren, daß ich die eisenachischen, unvollkommenen Jahrgänge ausfüllete; fünf neue machte, und die Reihe der Instrumentalstücke vermehrete, die mir, nebst den vorhingesetzten, bey dem angefangenen grossen, wöchentlichen Concerte im Frauenstein, Dienste thaten. Eben dieses veranlassete auch die Musik zu den 5. davidischen Oratorien von der Poesie des Königl. polnischen Ceremonien-Raths, HerrnJohann Ulrich Königs.

Die Vermählung Sr. gegenwärtigen K. M. von Polen zog mich von Franckfurth nach Dresden, wo zwo Opern vom Hrn. Lotti, eine frantzösische vom Hrn. Schmid*) , und die vierte, nebst zwo Serenaten, vom Hrn. Heinichen vorgestellet wurden. Die Hauptsängerinnen und Sänger waren: die LottiDurastanti, so man Gräfinn nannte; ThesiHeßinn, die, ob

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*) Daß dieser Mann begraben, stehet zwar im musikalischen Lexico, doch nicht, daß er Capellmeiser in Dresden gewesen: welches gleichwohl nothwendig zu wissen scheinet. S. die matthesonische musikalische Critick, II. Band p. 266-276

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sie zwar eine Deutsche, dennoch jenen fast gleich geschätzet wurde; SenesinoBercelli, der biß ins dreigestrichene f deutlich heraufsang; Francisco Guicciardi etc. Ausser den genug bekannten, dresdenschen, ausbündigen Virtuosen, hörte ich hier auch den berühmten Francesco Maria Veracini.

Zum prächtigen Freudenfeste, welches Franckfurth, wegen der Geburth des österreichischen Ertzhertzogs und Printzens von Asturien, feirete, lieferte ich eine umfängliche Serenate, die unter freiem Himmel, auf einem Gerüste, auf dem Römerberge, von vielen vortrefflichen, verschriebenen Virtuosen verstärcket; überhaupt aber mit mehr als 50. Personen, besetzet, sich hören ließ: und die ich hernach Seiner Kaiserl. Majestät dedicirte. Weiter machte ich mich über das Meisterstück des Passions-Oratorio Sr. Hochweish.

Herrn B. H. Brockes, Herrn des Raths in Hamburg: und hiernächst über 
dessen Vergnügung des Gehörs im Frühling; über eben desselben Wassermusik; welchen hernachmahls in Hamburg derHerbst und Winter folgeten. Die erste wurde, an etlichen ausserordentlichen Tagen in der Woche, in der Hauptkirche, starck und ausbündig bestellet, bey Anwesenheit verschiedener grosser Herren, und einer unsäglichen Mengen von Zuhörern, zum Besten des Waisenhauses, aufgeführet. Es ist hiebey, als etwas sonderbares, zu mercken, daß die Kirchenthüren mit Wache besetzet waren, die keinen hineinließ, der nicht mit einem gedruckten Exemplar der Passion*) erschien, und daß die mehresten Glieder E. Ehrw. Ministerii am Altare in ihren Pontificalkleidern Platz nahmen. Sonst hat diese Passion in vielen Städten Deutschlands die Chöre und Klingsäle erschallen gemacht.

An Hochzeitsserenaten mögen etwa 20. hervorgetreten seyn, zu welchen allen die Verse mich zum Urheber haben; derer viele ich aber, in Ansehung ihrer Freiheit, und ihres nicht gar zu schmackhafften Saltzes, itzo zu schreiben Bedencken tragen würde. Meine zwote Heirath wurde allhie in Franckfurth, 1714. mit Hrn.Andreä Textors, Rathskornschreibers ältesten Jungfer Tochter,Maria Catharina, vollzogen.

Folgende Wercke kamen in mehr gedachtem Franckfurth am Mayn von mir, durch öffentlichen Kupfferdruck, zum Vorschein: 6. Sonaten mit 1. Viol. und G.B.; 6 Trii für allerhand Instrum. und G.B.; 6. Sonatinen, mit 1. Viol. und G.B.; kleine Kammer-Music fürs Clavier, oder andre Instrumente.

Im Jahr 1721. den 10. Jul. wurde ich, nachdem Herr JoachimGerstenbüttel seeligen Todes verblichen, in Hamburg zum Directore des musikalischen Chors, und Cantore des Johannei erwählet, und um Michaelis

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*) Das ist eine schöne, zum Abgange der Bücher dienliche, Erfindung: zumahl ad pias causas.

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darauf, nach verhergegangenen Einladungs-Programmate, mittelst einer Rede, de Musica in Ecclesia, feierlich eingeführet.

Ohngefehr ein Jahr hernach wurden die in Abnehmen gerathene Opern, durch einige Ministers und hochadeliche Personen, in eine verbesserten und prächtigen Stand gesetzet, und mir dabey die Aufsicht über die Musik, nebst der Verfassung neuer Schauspiele, gegen 300. Rthlr. jährlichen Einkommens aufgetragen.

Anno 1723. berief mich Leipzig an die Stelle weiland Herrn Johann Kuhnau, Musicdirectoris und Cantoris daselbst, welche Ehre der Nachfolge mir bereits vor 20. Jahren zugedacht war: weil jenes Schwächlichkeit dessen baldigen Tod vermuthen ließ; allein es beliebte der Stadt Hamburg, diesen Ruf, durch ansehnliche Verbesserung meines Unterhalts, abzulehnen.

Der eisenachische Hof, dem ich annoch, als Capellmeister, mit einer Besoldung von 100 Rthlr., bedient war, ernannte mich 1724. zum Correspondenten, mit Beilage von ebenmäßiger Summe: in welcher Verwaltung ich die merckwürdigsten Neuigkeiten im Norden wöchentlich zwei mahl zu berichten hatte.

Ferner erhielt ich 1726. von Bayreuth eine Bestallung, als Capellmeister, lieferte von Zeit zu Zeit einige Instrumental-Musik, und jährlich eine Oper: wofür mir 100. Rthlr. Besoldung angediehen.

Im 1729ten Jahre wurde mir aus Rusland gewincket, um eine deutsche Capelle zu errichten, die sich hernach in eine welsche verwandelt hat. Hamburgs Annehmlichkeit aber, und der Vorsatz, nach vorhergegangenen viermahligen Rücken, endlich stille zu sitzen, überwogen die Begierde nach einer ausserordentlichen Ehre.

Meine längst-abgezielte Reise nach Paris*) , wohin ich schon von verschiedenen Jahren her, durch einige der dortigen Virtuosen, die an etlichen meiner gedruckten Wercke Geschmack gefunden hatten, war eingeladen worden, erfolgte um Michaelis, 1737. und wurde in 8. Monathen zurück geleget.

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*) Hier kann ich nicht umhin, dem Verfasser, der aus bescheidenheit von seiner grossen Stärcke in den lebenden Sprachen stilleschweiget, ins Wort zu fallen, und ihm Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, mit dem Geständnis, daß er schon längst vor seiner Pariser Reise, und ohne Deutschlands Grentzen weit zu überschreiten, nicht nur für einen Meister im Französischen, und Italiänischen, sondern auch so gar einiger massen im Engländischen hat gehaltem werden können: wie mir solches aus unserem Briefwechsel bekannt ist. Ach! Es ist ein schönes, nützliches Ding um diese Sprachen. Lieben Leute, lernet sie, wo ihr in der Welt fort kommen, und zulezt in eurer Einsamkeit, unter den todten Lehrmeistern, ein vergnügtes Leben führen wollet.

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Daselbst ließ ich, nach erhaltenem Königl. Generalprivilegio auf 20 Jahr, neue Quatuors auf Vorausbezahlung, und 6. Sonaten, die durchgehends aus melodischen Canons bestehen, in Kupffer stechen. Die Bewunderungswürdige Art, mit welcher die Quatuors von den Herren Blauet, Traversisten; Guignon, Violinisten;Forcroy dem Sohn, Cambisten; und Edouard, dem Violoncellisten, gespielet wurden, verdiente, wenn Worte zulänglich wären, hier eine Beschreibung. Gnug, sie machten die Ohren des Hofes und der Stadt ungewöhnlich aufmercksam, und erwarben mir, in kurtzer Zeit, eine fast
allgemeine Ehre, welche mit gehäuffter Höflichkeit begleitet war.

Sonst verfertigte ich für Liebhaber zween lateinische, zwostimmige davidische Psalmen mit Instrumenten; eine Anzahl Concerte; eine frantzösische Cantate, Polypheme, genannt; eine schertzende Symphonie auf das Modelied vom Pere Barnabas; hinterließ eine Partitur zum Druck von 6. Trii; setzte und hörte, zum Beschluß, den 71. Psalm in einer grossen Motete, von 5. Stimmen und mancherley Instrumenten, die im Concert spirituel von bey nahe hundert auserlesenen Personen, in dreien Tagen zweimahl, aufgeführet wurde,
und schied mit vollem Vergnügen von dannen, in Hoffnung des Wiedersehens.

Endlich wäre auch meiner aus zwo Ehen erzeugten Kinder zu gedencken. Aus der ersten Ehe habe nicht mehr, als eine Tochter:Maria Wilhelmina Eleonora; gebohren 1711. den 14. Jenner. Aus der andern; einen Sohn: Andreas; gebohren 1715. den 25. May, itzo Candidat des Ehrw. hamburgischen Ministerii. Einen Sohn:Hans; gebohren 1716. den 14. Julii, gewesener Cadet bey der dänischen busekistischen Compagnie, währenden Feldzuges am Rhein, 1735, gegenwärtig in Diensten bey Sr. Excellentz, dem dänischen wircklichen geheimen Rath von Alefeld. Einen Sohn:Henrich Matthias; gebohren 1717. den 4. August, Lehrling bey einem Materiasten und Drogisten, Herrn Mühlrath in Lübeck. Eine Tochter: Clara; gebohren 1719. den 20. Jenner. Einen Sohn:August Bernhard; gebohren 1721. den 1. Julii; gestorben 1738. den 2. May. Einen Sohn: Johann Bartold Joachim; gebohren 1723. den 13. Märtz; wird, nachdem er die Schulwissenschaften noch einige Zeit getrieben, die Chirurgie ergreiffen. Einen Sohn: Benedict Conrad Eibert; gebohren 1724. den 12. September; Lehrling bey meinem Vetter, Hr. Warmholtz, Apothekern in Stockholm. Einen Sohn: Ernst Conrad Eibert; gebohren 1726. den 8. April; gestorben 1727. den 10. Dec. Summa: sieben Söhne und zwo Töchter; davon zween Söhne verstorben: daß also noch fünf Söhne und die zwo Töchter am Leben sind.

Uebrigens füge hier annoch ein Verzeichniß, jedoch nur ohngefehr von

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derjenigen Musik hinzu, die ich in den 18 hier zurückgelegten Jahren ausgearbeitet habe. Nehmlich zwölf Jahrgänge; viele umfängliche Stücke mit Trompeten und Paucken, zu hohen Festtagen; etwa 700. Arien, so ich in den Singestunden anschreiben lassen; neunzehn Passions-Musiken, worunter zwo gantz poetisch und zu deren einer, nehmlich dem Seeligen Erwägen, die Worte von meiner Feder sind; sechs zu bürgermeisterlichen Beerdigungen; zwölff zu Predigereinführungen; drey zu Jubelfesten, als der evangelischen Reformation, der Hrn. Oberalten, und der Admiralität, bey deren ersten fast jeder Kirche was besonders hatte; drey zu Kircheneinweihungen; zwei grosse Oratorien; vier Trauermusiken; auswärts; dreißig Serenaten, ohne die Trauungsstücke, zu Hochzeiten; sechzehn dergleichen, und so viel Oratorien, zum jährlichen Bürgercapitains-Gastmahle; etwa fünf und dreißig Stücke hiesiger Opern, Vor- Zwischen- und Nachspiele, unter welchen die Poesie, zur Omphale von mir, nach dem Frantzösischen übersetzet, und diejenige zum Siege der Schönheit nur hier und da, nebst etlichen Zusätzen, geändert ist, weiter aber keine andre mir zuzueignen stehet; zwo Opern, Stilicound Adelheid nach Bayreuth; drei Operetten nach Eisenach; eine gantze Reihe von Singe- und Instrumental-Sachen zu den ehemahligen Winter-Concerten; bei 600. Ouvertüren, Trii, Concerte, Clavierstücke, ausgearbeitete Choräle, Fugen, Cantaten etc. für hiesige und auswärtige Liebhaber.

Von gedruckten Wercken sind folgende ans Licht getreten: harmonischer Gottesdienst, ein Jahrgang, mit 1. Stimme 1. Instr. und GB.; dessen Fortsetzung mit 1. St. 2. Instr. und GB.; Auszüge der Arien aus einem Jahrgange, im kisnerschen Verlage; evangelische Jubelmusik, 2. Cantaten; 6. weltliche Cantaten; lustige Arien aus der Oper Adelheid; Pimpinon, ein Zwischenspiel: 6. moralische Cantaten, mit 1. St. und GB.; 6. dergleichen mit 1. St. 1. Instr. und GB.; 12. geistliche Canons, mit 2, 3, und 4. St.; Ein Choralbuch; Sonaten ohne Baß, für 2. Flöten oder Viol.; methodische Sonaten mit Manieren für Viol. oder Travers. und GB.; deren Fortsetzung erstes Siebenmahl Sieben und ein Menuett; zweites dergleichen; Heldenmusik, eine Ouvertür und Suite; 6. Quadri, für Travers. Viol. Gambe, oder Violoncel, und GB.; neue Sonatinen fürs Clavier; 3. methodische Trii und 3. schertzende Sonaten, für 2. Viol. oder Trav. und GB.; 26. Clavierfantaisien; 12. dergleichen für die Trav. ohne Baß; 13. für die Gambe; Tafelmusik mit vielerley Instrumenten; 6. Quadri oder Trii, mit 2. Viol. oder Trav. und 2. Violoncells; 12. Soli, für Trav. oder Viol. und GB.; 6. Concerte und Suiten fürs Clavier und Trav.; corelisirende Sonaten, mit 2. Viol. oder

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Travers. und GB.; Melodische Schertze mit Viol. Bratsche und GB.; 6. Trii für 2. Traversen und GB. in Paris, nach einem ergriffenen Ms. gestochen, woselbst auch in einem Jahre, nehmlich 1730., sieben von meinen hiesigen Wercken nachgedruckt worden; 24. fugirende Choräle für Orgel und Clavier; lustiger Mischmasch oder Scotländische Stücke fürs Clav. und andere Instrum.; 6. Ouverturen mit 2. Viol. Bratsche, 2. Waldhörnern und GB.; Musicmeister, allerhand Musikarten zum Singen und Spielen enthaltend; Singe-Spiel- und Generalbaß-Uebungen: Arien, Exempel und Regeln zum Generalbaß; 6. neue Quarors, mit Instr.; wie der vorigen, in Paris gedruckt; 6. Sonaten, in 18. melodischen Canons, für 2. Trav. oder Viol. ohne Baß, daselbst gedruckt; Galanterie-Fugen und kleine Stücke fürs Clavier; 6. Symphonien, mit 2 Viol. einem Waldhorn und GB.; Beschreibung einer Augen-Orgel, aus dem Frantzösischen.

Nachgehende hat man, guten Freunden zu Gefallen, herausgegeben: 6. Soli, für Violin. und GB., von Herrn Graf; 6 Duette oder Trii, für 2 Viol. mit und ohne GB. von Herrn Förster; Anleitung zum Transponiren, von Herrn Haltmeier.

Ein Lulli wird gerühmt; Corelli lässt sich loben; 
Nur Telemann allein ist übers Lob erhoben.

Quellen

3. Telemann Autobiografie 1740 - Quellen
Quelle

Johann Mattheson, Grundlage einer Ehren-Pforte, woran der Tüchtigsten Capellmeister, Componisten, Musikgelehrten, Tonkünstler etc. Leben, Wercke, Verdienste etc. erscheinen sollen. Zum fernern Ausbau angegeben von Mattheson, Hamburg 1740, S. 354-369.

Faksimile Georg Philipp Telemann. Autobiographien 1718, 1729, 1740, o.O., o.J. [Blankenburg 1977] (= Studien zur Aufführungspraxis und Interpretation von Instrumentalmusik des 18. Jahrhunderts, H. 3), S. 36-51.

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