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Telemann, Dokumente, Texte, Materialien

Der deutsch-französische Lebenslauf Georg Philipp Telemanns (1744)

Deutsche Fassung

Auswahl der Textabschnitte:

[S. 1]

Herr Georg Philipp Telemann.


Die seltenen Vorzüge dieses weitberühmten Mannes sind so kundbar, daß sie uns einer gedoppelten Mühe überheben. Wir dürffen nicht erst seine Verdienste aus einiger Dunckelheit herausreisen, und in ein grösseres Licht stellen. So ist auch überflüssig, durch weit gesuchte Gründe unsere Wahl zu rechtfertigen, vermög welcher wir Demselben in diesem Wercke einen hohen Rang billig angewiesen haben. Ein kurzer Abris der wichtigsten Umstände seines ruhm-vollen Lebens soll also unsere einige Beschäfftigung seyn. Deutschland, die fruchtbare Mutter geschickter Köpffe, rühmet sich, diesen Mann in ihrem Schoos gebohren und erzogen zu haben; Magdeburg aber, als der beglückte Ort seiner Geburt, nimmt an dieser Ehre den nähesten Antheil. Diese ansehnliche Stadt erblickte Ihn das erstemahl im Jahr 1681. den 14.Merz, und schrieb Ihn den folgenden Tag, nach empfangener Taufe, in die Zahl der dasig-Evangelisch-Lutherischen Gemeine. Seine ruhmwürdige Eltern, deren im Seegen ruhende Asche von ihrem werthen Sohn so viel Ehre zurück nimmt, als sie demselben mittheilet, behaupteten unter den Inwohnern gedachter Stadt eine ansehnliche Stelle. Der Herr Vatter war Heinrich Telemann, wohlverdienter Prediger an der Kirche zu St. Johannis, der allbereit 1685. den 14. Januarii nebst der sterblichen Hütte des Leibes seinen Hirten-Stab niedergeleget hat. Seine Frau Mutter, Maria, Herrn Johann Haltmeyers, eines Priesters aus Altendorf, tugendhaffte Tochter, beschloß ihre irdische Wallfahrth 1710. nachdem sie vorher das Vergnügen genossen, ihren Herrn Sohn von einer Stuffe der Ehre zu der andern steigen zu sehen. Schon in seiner zarten Kindheit äusserte sich bey demselben ein geheimer Trieb der Natur der Ihn allmählich in diejenigen Wege einleitete, worauf er nachgehends Glück und Ruhm gefunden. Eine gleichsam mit der Mutter-Milch eingeflösste hefftige Neigung zur Music, vertratt die Stelle eines Wegweisers; welchen kräfftigen Zug aber seine Frau Mutter so viel möglich zu unterbrechen suchte. Ihre Absicht gieng nemlich dahin, den aufgeweckten und fähigen Kopff ihres Sohnes den Studien gänzlich zu widmen. Allein dieses Feuer, welches die weise Vorsehung nicht umsonst in seine Seele geleget, ließ sich nicht dämpffen; und alle Einschränckung brachte es nur so weit, daß es sich nicht getrauete in helle Flammen auszuschlagen. Die unter der Asche glimmende Funken waren gleichwohl hinlänglich, Ihn zu heimlicher Verfertigung verschiedener Arien und Moteten für den Singe-Chor, auch einiger Kirchen-Stücke, zu ermuntern. Grosse Geister gelangen bald zur Reife; und nach wenigen Vor-Übungen geringer Anfänger, wagen sie sich plötzlich über wichtige Wercke geübter Meister. Unser junger Telemann zeigte sich schon in musicalischen sinnreichen Erfindungen als einen Mann, da Er noch ein Knab von 12. Jahren war.

Sein reicher Überfluß von netten Einfällen ließ Ihn nicht stecken, da Er sich in diesem zarten Alter über eine Oper machte. Jeztgedachte Arbeiten waren insgesamt aus seinem eigenen Gehirn geflossen; und eine fremde Unterweisung auf dem Claviere und im Singen, davon jene vierzehen Tage, diese aber gleichfalls eine kurze Zeit gedauert, war viel zu schnell abgebrochen, als daß sie für eine Mutter solcher Geburten könnte angesehen werden. Diese seine natürliche Geschicklichkeit bekam aber erwünschte Gelegenheit in das Kunstmässige der Musik tiefer einzudringen, da er die Schule auf dem Cellerfelde vier Jahre, und hernach das Gymasium zu Hildesheim eben so lang besuchte. Seine Vollkommenheit muß allerdings merklich gestiegen seyn, weil Er an dem lezten Ort, auf wohlbedachte Vergünstigung, die Kirchen-Musiken im Catholischen Godehardiner-Kloster aufführte, und solche mit seinen Religions-Verwandten bestellte. Dieses war nur ein kleiner Anfang der Welt bekannt zu werden: Bald aber öffnete sich Ihm ein weiteres Feld, seine ausnehmende Gaben öffentlich darzustellen. Solches geschahe, da er im Jahr 1701. das berühmte Leipzig besuchte, um daselbst der Rechts-Gelahrtheit obzuliegen. Diese Haupt-Beschäfftigung verhinderte ihn nicht, der Musik, welcher Er auf ewig Abschied geben sollte, seine Neben-Stunden zu schenken; wodurch Er sich in dieser Kunst eine solche Fertigkeit und einen so reinen Geschmak, bey hohen und verständigen Personen aber ein so grosses Vertrauen erworben, daß Ihm bey Aufführung der Opern die Aufsicht, und noch überdis die Stelle des ersten Musik-Directors und Organisten an der neuen Kirche anvertrauet worden. Die bey solchen Bedienungen häufig an Tag gelegte ganz besondere Eigenschafften können Ihm schon von Leipzig eine immerwährende Hochachtung versprechen: Nichts kan aber sein Angedenken in dieser vornehmen Stadt unvergeßlicher erhalten, als das daselbst von ihm errichtete, und noch beständig fortwährende Collegium Musikum. Nachdem Er nun seinem Nahmen ein so dauerhafftes Denkmahl gestifftet, tratt Er 1704. als Capell-Meister in Dienste des Gräflich-Promnitzischen Hofes, welchen Er 1709. mit dem Fürstlich-Eisenachischen vertauschte, wo Er anfangs Concert- bald darauf aber Capellmeister und Secretair ward. Biß hieher hatte Er im ledigen Stand gelebet; Hier aber entschloß Er sich zu einer ehlichen Verbindung, und heyrathete Herrn Daniel Eberlins, damahligen Capitains in Cassel, zwote Jungfer Tochter, Luisen. Das Band dieser Ehe wurde gleich im ersten Jahr mit einer erzeugten Tochter, Maria Wilhelmina Eleonora, gebohren, 1711. 

14. Jenners geseegnet; aber auch etliche Tage darauf durch den frühzeitigen tödlichen Hintritt seiner Frau-Eheliebsten wieder zerrissen. Die Göttliche Führung wollte unsern Herrn Capell-Meister mancherley Veränderungen erfahren lassen! und eben dieselbe hieß Ihn auch 1712. einen neuen Wechsel treffen. Sein Ruhm, der durch ganz Deutschland erschollen, kunte auch der angesehenen Stadt Frankfurth am Mayn
[S. 2] nicht verborgen bleiben; daher sie denselben zum Capell-Meister an der Barfüsser-Haupt-Kirche erwählte, auch wirklich erhielte. Hier wusste Er die von Ihm geschöpffte gute Hoffnung so vollkommen zu erfüllen, daß Ihn in kurzen seine vorgesezten, zum Zeichen ihrer gänzlichen Zufriedenheit noch überdis mit dem Musik-Directorat an der Catharinen-Kirche beehrten. Solches öffentliche Zeugnis einer ungemeinen Hochachtung gegen seine besondere Fähigkeit bekam bald darauf einen neuen ansehnlichen Zuwachs, da Ihn die adeliche Gesellschafft Frauenstein zum Verwalter ihres prächtigen Erb-Hauses, und zum Zinßheber der Doct. Bayerischen Vermächtnisse ernannte. Seine Schultern hatten also eine schwehre Last auf sich geladen; zumahl derselbe in Hochfürstl. Eisenachischer Bestallung geblieben, auch dergleichen aus Gotha angenommen. Er war zwar gesonnen, sich von seinen Frankfurthischen Bedienungen loszumachen; aber dieser Ort, welcher eine so grosse Zierde ungern vermissen wollte, kunte sich zur Verwilligung seines Abzuges so bald nicht entschließen. Damit Er sich aber in seinen überhäufften Arbeiten einige Erleichterung verschaffen mögte, so schritte Er 1714. zur zwoten Ehe mit Herrn Andreä Textors, Raths-Korn-Schreibers, ältesten Jungfer Tochter, Maria Catharina, mit welcher Er acht Söhne und eine Tochter gezeuget. Die Nachkommen eines so wackern Mannes, die, ausser dem angeerbten Ruhm ihres Herrn Vatters eigenthümliche Vollkommenheiten besizen, verdienen allerdings mit Nahmen genennet zu werden. Sie sind aber folgende: Andreas, 1715, 25.May; Hans, geb. 1716, 14.Julii; Henrich Mathias, geb. 1717, 4. Aug.; Clara, geb. 1719, 20. Jenner; Friedrich Carl, geb. 1720, 8.Juli; August Bernhard, geb. 1721, 1.Jul.; Johann Bartold Joachim, geb. 1723, 13. März; Benedict Eberhard Wilhelm, geb. 1724, 12. Sept.; Ernst Conrad Eibert, geb. 1726. 8. Apr.; Hievon leben noch 5. Söhne und eine Tochter. Von jenen aber hat kein einziger Neigung zur Musik gehabt.

     War nun seine Ehe geseegnet, so äusserten sich auch sonsten bey Ihm deutliche Fußstapffen der Göttlichen Gnade und Vorsorge, welche niemals müde geworden, Ihm neue Wege des Glükes und der Ehre anzuweisen. Frankfurth hatte bereits eine lange Zeit seiner nützlichen Dienste genossen, und nunmehro kam die Ordnung an das angesehene Hamburg, welches Ihn 1721. den 10. Julii mit Übertragung des Directorats bey dem musikalischen Chor, wie ingleichen des Cantorats an dem Johanneo, an sich zu ziehen wusste. Diese grosse Stadt zehlet Ihn noch biß diese Stunde unter ihre merkwürdigsten Seltenheiten, erkennet seinen Werth, und machet Ihn durch Liebe und Ehre sich so gar zu eigen, daß Er sie bey guter Gesundheit mit Vergnügen und zärtlichster Erkenntlichkeit bewohnet. Es war kaum ein Jahr verflossen, daß Ihn Hamburg in seine Mauern eingeschlossen, als Ihm Leipzig die gar einträgliche Stelle des seeligen Cantoris Kuhnau zudachte. Er musste zwar diesen Beruff als einen sichern Beweis eines von ehemaligen Zeiten geschöpfften, und nachmahls merklich vermehrten zutrauens ansehen; allein Er vermogte nicht, sich von jenen Banden loszumachen, die Ihn gegenwärtig an Hamburg fest verknüpfften. Jedoch die Eisenachischen Dienste giengen biß fast zum Tode des letzten Herzogs von Haus aus beständig fort; und es ist leicht zu erachten, daß Ihn dieselben selten müßig gelassen haben, weil Ihm auch zugleich das Geschäffte aufgetragen worden, als ordentlicher Correspondent von den Nordischen Neuigkeiten und Staats-Veränderungen öffters Bericht zu erstatten. Die wenigen Stunden, die Ihme noch übrig blieben, waren dem Marggräflich-Bayreuthischen Hof gewidmet, dem Er einige Jahre Musikalien lieferte, und den Character dessen Capellmeisters erhielte. Alle diese höchstwichtige Verrichtungen kunten Ihn doch nicht abhalten, seinen längst-gefassten Entschluß, Paris zu besuchen, ins Werk zu sezen. Er begab sich vielmehr 1738. [recte 1737] um Michaelis auf die Reise, welche Er biß Pfingsten des folgenden Jahrs mit grösster Zufriedenheit zu Ende brachte. Es ist kein Zweifel, es werden die Ausländer nicht weniger aus seinem Umgang sonderbahres Vergnügen geschöpffet, und in seiner Person zum Ruhm unsers Vatterlandes einen Deutschen bewundert haben, den sie vorhin schon aus dem Ruff haben kennen, und verehren lernen. Dieser seltene Nachruhm gründet sich auf viele unverwerffliche Zeugen, nemlich auf seine auserlesene, und jederzeit mit vielem Beyfall aufgenommene, theils nach Kupferstich-Art eingerichtete und theils gedruckte Werke, deren etliche und funfzig an der Zahl sind. Die letztern machen nur gar wenig aus, jene aber hat er, nach einer Engländischen aber weit höher getriebenen Erfindung, sämtlich und mit allen nur erforderlichen Figuren, ohne Griffel, mit solcher Geschwindigkeit in die Platten gebracht, daß es ihm möglich gewesen, in einem Tage deren 9. oder 10. zu verfertigen, daher es kein Wunder, wenn man in etlichen Wochen Ausgaben davon gesehen, die sich auf 2 biß 300. Seiten erstrecket; wobey er jedoch seinen übrigen Verrichtungen keinen Abbruch gethan.

     Unser hochverdienter Herr Telemann hat hiemit ein mehrers geliefert, als zu seinem unsterblichen Ehren-Gedächtnis nöthig zu seyn scheinet. Er ist daher nicht zu verdenken, wenn er nunmehr einer Arbeit in dergleichen Gattungen ein endliches Ziel zu sezen beschlossen hat. Es muß aber allen Liebhabern seiner gründlichen und hochgebrachten Wissenschafft zu besonderer Freude gereichen, daß Er seine übrige Lebens-Zeit zu Lehr-Schrifften anzuwenden gesonnen ist. Wir können uns schon zum voraus auf die reifesten Früchte sichere Rechnung machen, sintemahl Er ein höchstwichtiges Werk, unter der Aufschrifft, musikalischer Practicus, stückweis herauszugeben anstalten machet, und hiebey alles, was Er bey einer langen Erfahrung bemerket, getreulich anzubringen gedenket. Ein jeder Patriot, dem die Ehre Deutschlandes, Und die fernere Aufnahm der Künste und Wissenschafften an dem Herzen liegt, wird mit uns aufrichtig wünschen, daß diese nützliche Unternehmung glüklichen Fortgang gewinnen, und der Herr Verfasser bey muntern Leibes- und Gemüthes-Kräfften das höchste Alter erreichen möge.