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Wir trauern um Prof. Dr. phil. Willi Maertens
20.06.2012 01:45
Zum Tod von Prof. Dr. phil. Willi Maertens
von Dr. Wolf Hobohm (Magdeburg)
Am 19. Juni starb Prof. Dr. Willi Maertens. Mit ihm hat uns ein Mann verlassen, der jahrzehntelang in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern in Magdeburg und Halle das schulische, universitäre, ja das gesamte Musikleben dieser Städte mitgestaltete. Obwohl schon seit Jahrzehnten im Ruhestand, sind bis heute Spuren seines Wirkens zu bemerken.
Geboren am 3. November 1915 in Magdeburg, besuchte er im Anschluss an die Volksschule ab 1926 die Berthold-Otto-Schule, ein Reformgymnasium mit Akzentuierung musischer Fächer. Während seiner Schulzeit erhielt er Unterricht im Violin- und Klavierspiel sowie in Musiktheorie – und er sang im Domchor mit. Nach dem Abitur und der Ableistung der Arbeitsdienstpflicht studierte er ab 1936 an der Hochschule für Lehrerbildung in Frankfurt (Oder) Pädagogik (Wahlfach Musik) und von 1937 bis 1941 an der Staatlichen Hochschule für Musikerziehung und an der Universität in Berlin Musikerziehung und Englisch sowie fakultativ Tonsatz (noch kurz vor dessen Emigration bei Paul Hindemith) und Dirigieren an der Hochschule für Musik. Im Herbst 1939 wurde er zur Wehrmacht (Luftwaffe) einberufen, konnte jedoch - nach einem Studienurlaub ab Herbst 1940 - im März/April 1941 vor dem Künstlerischen und Wissenschaftlichen Prüfungsamt in Berlin seine Staatsexamen für das Lehramt an Höheren Schulen, Fachrichtung Musikerziehung und Englisch, ablegen.
Er kehrte nach dem Kriegsende und der Entlassung aus amerikanischer Gefangenschaft 1946 nach Magdeburg zurück, wurde in den Schuldienst eingestellt, absolvierte seine Vorbereitungszeit und legte im September 1947 in Halle die Pädagogische Prüfung für das Lehramt an Oberschulen ab. Insgesamt also glänzend vorbereitet, war er nunmehr bis 1952 Oberschullehrer für Musik und Englisch an der Berthold-Otto-Oberschule, außerdem ab 1948 in Magdeburg Kreisfachberater und Weiterbildungsleiter für Musikerziehung. Sein besonderes Augenmerk widmete er dem Aufbau und der Qualifizierung des Chores seiner Schule zu hoher Leistungsfähigkeit.
Damit nicht genug, gründete und leitete Maertens mit dem „Magdeburger Kammermusik-Kreis“ innerhalb des Kulturbundes eine Musiziergemeinschaft junger Berufs- und Laienkünstler, die sich besonders der Pflege zeitgenössischer Musik widmete und sie öffentlich vortrug. Schließlich übernahm er den Wiederaufbau und die Leitung des ehemaligen „Männergesangvereins von 1908“, des späteren „Magdeburger Schubert-Chores“, und führte ihn ebenfalls zu Höchstleistungen.
Diese vielseitige, erfolgreiche Tätigkeit blieb dem damaligen Direktor des Instituts für Musikerziehung der Martin-Luther-Universität, dem legendären Prof. Fritz Reuter (1896-1963), nicht verborgen, und er holte Maertens an sein Institut. Als Lehrbeauftragter, dann bald Lektor für Methodik der Musikerziehung und Gehörbildung, ab 1964 als „Universitätsmusiklehrer“ (der „Universitätsmusikdirektor“ war besetzt mit dem damaligen, auf diesem Gebiet jedoch untätigen Generalmusikdirektor der Oper in Halle), als Leiter des wiederum hervorragenden Chores des Fachbereichs Musikwissenschaft und des Akademischen Orchesters und als Lehrer des Dirigierens, der Chorleitung und der Musiktheorie bildete er bis zu seiner Emeritierung 1979 viele und später ebenfalls recht erfolgreiche Musikerzieher und Chorleiter aus und wirkte bei unzähligen Veranstaltungen der Universität, in Akademischen Konzerten und an den Händel- und Telemann-Festtagen in Halle und Magdeburg mit.
Auch in all diesen Jahren betätigte er sich weit über die beruflichen Verpflichtungen hinaus unermüdlich in der Weiterbildung von Musiklehrern sowie bei Lehrgängen des Leipziger Zentralhauses für Kulturarbeit und der Bezirkskabinette für Kulturarbeit in Halle und Magdeburg. Dem Telemann-Kammerorchester in Blankenburg-Michaelstein, geleitet von Dr. Eitelfriedrich Thom, stand er mehr als zwei Jahrzehnte lang als Betreuer und Berater freundschaftlich und hilfreich zur Verfügung.
Besonders eng fühlte sich Willi Maertens der Telemannpflege in seiner Heimatstadt Magdeburg verbunden. 1961 war er Mitbegründer und jahrzehntelang Leitungsmitglied des Arbeitskreises „Georg Philipp Telemann“, der, damals im Kulturbund der DDR und unter dem Vorsitz der Generalmusikdirektoren Gottfried Schwiers und Roland Wambeck, heute als eingetragener Verein, nachhaltig die Auseinandersetzung mit Telemanns Leben und Werk in Magdeburg betrieb. Maertens befasste sich mit Telemanns großen Oratorien - mit den sog. Kapitänsmusiken, also den großdimensionierten Vokalkompositionen zu den Convivien der Kapitäne der hamburgischen Bürgerwehr, mit dem Oratorium zum 100jährigen Bestehen der Admiralität, mit der Trauermusik auf den Tod Augusts des Starken, mit der Musik zum Friedensschluss 1763. Von all diesen riesigen Werken fertigte er Note für Note nach heutigen Gepflogenheiten lesbare Partituren an. Über die beim Umgang mit ihnen am Schreibtisch und beim Einstudieren der Solisten, seines Chores, des Orchesters gewonnenen Erkenntnisse schrieb er kluge Abhandlungen bzw. stellte sie auf musikwissenschaftlichen Kongressen vor. So entstand schließlich eine große Arbeit über „Georg Philipp Telemanns Hamburger Kapitänsmusiken", mit der er 1975 promovierte und die 1988 mit Unterstützung der Patriotischen Gesellschaft von 1765 zu Hamburg im - letztlich aus Magdeburg stammenden - Florian Noetzel Verlag „Heinrichshofen-Bücher“ in Wilhelmshaven erschien. Telemann betonte einst von sich, nicht stille sitzen zu können. Maertens konnte hinsichtlich seines Akademischen Orchesters nicht stille sitzen und übertrug auch etliche Instrumentalwerke Telemanns (Ouvertürensuiten und Solokonzerte) für Wiederaufführungen aus den vergilbten Quellen in lesbare Partituren. Viele von ihnen übergab er dem Druck. Im „Ruhestand“ half er jahrelang dem Magdeburger Städtischen Orchester mit der Abfassung von Werkeinführungen für die Programmdrucke der Sinfoniekonzerte. Unermüdlich fuhr er nach Hamburg, um in Archivstudien neues Material über Telemanns dortiges Wirken aufzuspüren. Die engen Beziehungen zur Hamburgischen Patriotischen Gesellschaft entwickelten sich damals und führten im Jahr 1990 zur von Maertens angeregten und betriebenen Gründung der „Magdeburgischen Gesellschaft von 1990 zur Förderung der Künste, Wissenschaften und Gewerbe e.V.“, einer Bürgervereinigung, die noch immer blüht und sich im Sinne ihres Namens verdient macht. 1991 war er Mitbegründer der internationalen Telemann-Gesellschaft, die ihren Sitz in Magdeburg hat. Alle diese Vereine und Gesellschaften und ebenso der Landesmusikrat Sachsen-Anhalt und der Musikrat der Landeshauptstadt Magdeburg erklärten ihn zu ihrem Ehrenmitglied.
Für seine Verdienste erhielt Willi Maertens 1989 den Georg-Philipp-Telemann-Preis der Stadt Magdeburg und 1995 die Große Silberne Medaille der Hamburger Patriotischen Gesellschaft von 1765. In der Zeit vor 1989 blieb er von universitären Beförderungen ausgeschlossen, so war 1994 die Verleihung des Titels „Außerplanmäßiger Professor" zugleich Wiedergutmachung und Anerkennung.
Maertens besaß eine künstlerisch-wissenschaftliche Mehrfachbegabung und verfügte über die Gabe, seine Erkenntnisse und Anregungen verbal fasslich darzustellen und über Musik sprechen zu können. Immer ging es ihm darum, Erkenntnisse und Anregungen an Musiker und Musikinteressierte weiterzugeben, sie erklingen zu lassen. Seine Neuerschließungen von Werken Georg Philipp Telemanns begannen in einem Archiv oder in einer Bibliothek, setzten sich an seinem Schreibtisch fort und endeten mit seinen Konzerten, mit Rundfunksendungen oder Schallplatten, später CD-Aufnahmen. Über diese Kompositionen schrieb er zahlreiche Aufsätze. Die Partituren verwahrt das Magdeburger Telemann-Zentrum für künftige Aufführungen. Viele von seinen Arbeiten werden noch lange weiterleben. Dennoch wird Willi Maertens uns fehlen.
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